Autor und Coach
Autor und Coach
Bei Conrad Breuning laufen viele politischen Fäden zusammen. Der diplomatisch begabte Vogt von Tübingen und geschätzte Vertrauter und enge Berater der württembergischen Herzöge versteht es, die bürgerlichen Kräfte des Landes zu vereinen. Geschickt und umsichtig nutzt er seinen Einfluss, neuen Ordnungen einen Weg zu bahnen. Mehr…
an der Fassade der Ratsstube in der Rathausgasse 1
In einer Krone stecken drei gekreuzte und gebundene Schilfrohrkolben. Sie haben dreifache symbolische Bedeutung: Treue in Dienerschaft und Gemeinschaft, Standhaftigkeit und Dauerhaftigkeit auch im Sturm und Gerechtigkeit durch das Herausputzen der Wahrheit.
Das Lehrgebäude der Astronomie geht von einem geozentrischen System aus, in dem Sonne, Mond, Planeten und das mächtige Gewölbe des Fixsternhimmels die Erde als Zentralkörper umkreisen. Zu den fünf Planeten Saturn, Jupiter, Mars, Venus und Merkur kommen die auffälligsten Himmelskörper Sonne und Mond. Da sie die Erde auf Kugelschalen mit unterschiedlicher Geschwindigkeit umkreisen, scheinen sie am Firmament zu wandern. Mehr…
Bei Conrad Breuning laufen viele politischen Fäden zusammen. Der diplomatisch begabte Vogt von Tübingen und geschätzte Vertrauter und enge Berater der württembergischen Herzöge versteht es, die bürgerlichen Kräfte des Landes zu vereinen. Geschickt und umsichtig nutzt er seinen Einfluss, neuen Ordnungen einen Weg zu bahnen.
Die Ereignisse des Jahres 1515 — die Ermordung Hans Huttens durch Herzog Ulrich und die Flucht seiner Frau Sabina von Bayern zu ihrer Mutter und ihrem Bruder Herzog Wilhelm IV. nach München — haben Folgen für Conrad Breuning. Ulrich befürchtet, dass Conrad seine Absetzung betreibt, weil er wegen seines Mordes vom Kaiser geächtet wurde. Außerdem verdächtigt er den Amtmann, der Herzogin zur Flucht verholfen zu haben. Der Herzog entschließt sich, viele hohe Amtsträger abzusetzen, um ihnen ihre Grenzen aufzuzeigen und ihre persönliche Ohnmacht gegenüber seiner fürstlichen Macht zu demonstrieren. Der Willkür und Rachsucht des despotischen Herzogs Ulrich ausgesetzt, wird Conrad Breuning als Verräter angeklagt und gnadenlos vernichtet.
1505: Hexenverbrennung
Noch nie hat jemand in Tübingen gesehen, wie ein Mensch verbrannt wurde.
Am Tag, an dem Barbara, die Enkelin der Hebamme, die Conrad auf die Welt brachte, auf den Scheiterhaufen kommt, fällt kalter Regen vor der Morgendämmerung. Ein böiger Wind verbiegt die Baumwipfel. Was hatte die Frau verbrochen, die jetzt durch die Menschenmenge des Marktes von Wachen begleitet wird?
Die stadtbekannte Hebamme hat einer Wöchnerin gesagt, dass sie durch Beschwörungen das Blut des entfernten Geliebten so in Wallung bringen könne, dass er unverzüglich zu ihr komme. Wenn er es nicht tue, dann verliere er seine Manneskraft.
„Und, ist er gekommen?“
„Nein, er verlor seine Manneskraft!“
„Dann soll sie sich einen anderen Mann nehmen!“
„Das hat sie nicht getan. Sie ist im Hexenflug zu ihrem Geliebten gelangt. Im Schlaf hat sie ihm einen Hexentrunk eingeträufelt, der seine beste Manneskraft verkümmern ließ. Nun kann er keine Kinder mehr zeugen. Das hat er zunächst dem Pfarrer und dann dem Vogt angezeigt, der es überprüfte und die Frau ins Gefängnis steckte.“ Barbara hat einen guten Ruf.
Sie wurde gütlich befragt. Sie gestand nicht. Dann wurde ihr die Streckbank gezeigt. Das zeigte keine Wirkung. Nicht einmal die langwierigen und raffinierten Verhöre des Vogtes konnten sie erschrecken. Er hat jeden Trick versucht, den er kennt: ohne Ergebnis. Als letzten Versuch hat er den Schlafentzug befohlen.
Nach drei Tagen besucht er Barbara in ihrer Zelle. Er findet sie zusammengesunken wie ein verschnürtes Bündel Lumpen auf einem Hocker sitzend. Die Luft ist kalt und abgestanden. Sie sagt ihm: „Ich muss wohl sterben. Werde ich verbrannt?“
Er denkt: „Wir sind uns im fürstlichen und städtischen Rat nicht ganz sicher. Ihre Akten habe ich zur Begutachtung zum Kanzler nach Stuttgart geschickt. Das Verfahren muss ordentlich sein und nicht mit der gerichtlichen Praxis im Land streiten. Erzwungene Geständnisse sind ganz ungültig.“ Er fragt: „Warum musst du sterben? Hast du über deine Sünden nachgedacht?“
„Eine Wache hat es mir gesagt.“ Sie macht eine lange Pause. „Ich gehe jetzt oft in die Hölle. Luzifer setzt mich auf einen Feuerstuhl. Das Feuer kann mir nichts anhaben; aber mir kommen Gedanken an die Totenschädel vom Gottesacker jenseits der Ammer. Sie martern mich. Die Toten liegen dort über- und untereinander. Nach der letzten Pest vor drei Jahren haben die Totengräber keine Zeit gefunden, die Toten mit Gottes Segen zu beerdigen. Nach Sonnenuntergang bin ich dahin geschlichen, habe mit einer Eisenstange in den Gebeinen gewühlt und manchmal Schädel aufgespießt. Einmal stieß ich die Stange durch das Loch, wo das rechte Auge des Toten gewesen war. Als ich die Stange in die Höhe hob, sah mich der Schädel an. Er erinnerte mich an meinen Geliebten. Ich steckte ihn in einen Sack und nahm ihn mit. Um durch die Stadtwache am Schmiedtor zu kommen, legte ich Gräser und Kräuter vom Fluss über ihn. Bisher hatte ich die Knochen zerstampft, mit bestimmten Kräutern und Tollkirschensaft vermischt und aufgekocht. Jetzt kochte ich den Schädel ganz, um einen Sud daraus zu machen, mit dem ich meinen fernen Geliebten zurück zu mir holen wollte. Das Rezept habe ich von einer durchreisenden, schwangeren Frau aus Brackenheim bekommen, die ich wegen Leibschmerzen behandeln musste. Sie hat es auch so gemacht und ihren Mann so bekommen. Es ist ein altes Rezept:
In Bier löst sie Schweineknorpel, Haare und Federn, Erbsen, Buchweizenkörner und Kürbiskerne auf. Der Sud wird geseiht und langsam köchelnd verdickt.“
Dazu spricht sie die Beschwörungsformel:
Wachse, wachse immerzu
Duft und Leib,
Dolch bring noch hinzu
Horch und schau, es schallt in dir:
Weiter, weiter bis zu dir.
Conrad denkt: „Wieso kann ein Mensch denken, dass die Hand, die da rührt, und der Mund, der da beschwört, zu einem Körper wird, der am fernen Ort wirkt?“
Nach einer weiteren langen Pause sagt sie: „Die Wache sagte mir auch, dass es eine Stunde dauern kann, bis ein Körper brennt. Den Schmerz hält niemand aus.“
„Meine Ratskollegen und ich werden am Rechtstag deine Strafe festlegen. Es wird wohl eine schwere Leibesstrafe sein.“
Das Urteil ‚Tod auf dem Scheiterhaufen’ wird einige Tage später vom Rathaus herab auf den Markt verlesen. Ein ungeheures Ereignis! Es entsteht ein Tumult unter den Hörern auf dem Marktplatz, und es wird so laut, dass nur Bruchstücke des Urteils verstanden werden. Von den Wachen der Stadt werden Gerten und Hellebarden eingesetzt, um wieder Ruhe herzustellen.
Am folgenden Tag wird das Urteil vollstreckt.
Die Familie des verhexten Mannes ist anwesend. Seine Schwester ballt beide Fäuste, streckt sie in die Luft und stößt mit einer schrillen Stimme ein „Horrido“ aus. Die Menge nimmt den Schrei auf. Sie drängt nach vorn, um besser sehen zu können. Johlen, ein Trampeln mit den Füßen, Pfeifen.
Allgemein bekannt ist, dass du Sünder allein fürs Dabeisein und Hinschauen Vergebung bekommst. Und allen, die Reisigbündel fürs Feuer mitbringen, werden vierzig Tage Fegefeuer erlassen.
Die Wachen nehmen Ketten und fesseln die Frau an den aufgestellten Pfahl auf dem Marktplatz, der in einem Steinhaufen steckt. Mönche rufen der Frau zu, sie solle bekennen, dann könne ihre Seele noch gerettet werden. Die Lippen der Frau bewegen sich. Niemand kann ihre Worte verstehen — sie sind zu leise gesprochen. Die Mönche und Amtsträger ziehen sich zurück. Die Wachen schichten Strohballen und Holzstücke rund um die Hexe auf. Der Regen hat aufgehört, die Sonne zeigt sich in einer Wolkenlücke. Der Scharfrichter kommt mit einer Fackel. Das Feuer entzündet sich schwer. Das Stroh ist noch zu nass. Erste schwache Rauchschwaden zeigen an, dass das Stroh zu brennen beginnt. Barbara muss leiden, weil der Wind die Flammen wiederholt von ihr wegbläst. Der Tod ist ein Spaßvogel — ruf ihn herbei, und er kommt nicht.
Die Menge weicht vor den lodernden Flammen kaum vom Fleck. Die Wachen der Stadt bilden eine Barriere und rufen mit mächtigen Stimmen: „Zurück, zurück, zurück“. Die Menge kreischt, fällt zurück und drängt dann wieder nach vorn. Sie brüllt im Sprechchor: „Macht ihr ein End, indem sie brennt!“ Oder: „Die Hexe aus dem Ammertal hat geschunden viele Mal. Nun sie im Feuer untergeht, der Teufel nimmer aufersteht.“
Oder: „Zum Mann geritten, viel Mal behext, dazu der Teufel sie gehetzt. Nun ist ein End mit seltsam Dräng, das Fegefeuer sie umfängt.“ Jetzt — ein Aufstöhnen mit einem unwirklichen Klang kommt vom Pfahl. Das brausend singende Feuer legt das rote Licht dieses Todes auf die gierig starrende Menge. Wirbelnder Rauch versperrt die Sicht. Die Leute wedeln hustend mit den Händen. „Riecht sie“, brüllen sie. „Riecht die Hexe!“ Die Frau am Pfahl schreit. „Jetzt ruft sie den Teufel an“, sagen die Umstehenden.
Der Rauch verzieht sich. Die Frau im Feuer blutet aus allen Poren. Die Menge beginnt zu jubeln. Es dauert lange, bis das Schreien verstummt. Als fast nichts mehr von der Frau übrig ist, wird das Feuer immer noch geschürt. Die Wachen stehen am Rand, stampfen brennende Strohfetzen aus, die jetzt wegfliegen wollen, und stoßen größere Teile zurück in die Glut. Diejenigen, die auf der falschen Seite des Feuers stehen, gehen mit grauen Holzaschengesichtern schwatzend nach Hause.
Die Wachen schlagen mit Eisenstangen auf die menschlichen Überreste ein. An den Ketten sind Fleischreste hängen geblieben. Das Rot der Flammen deutet darauf hin, dass das Feuer die Knochen nicht verbrennen kann.
Der Schädel der Frau liegt auf dem Boden, auch die Knochen ihrer Arme und Beine liegen da. Ihr gebrochener Brustkorb ist so klein wie der eines Kindes. Die Wachen zertrampeln alle Knochen zu kleinen Splittern. Es beginnt wieder zu regnen. Barbara wird zusammengeschaufelt, ihr reifes Alter, ihr Wissen um die Geburt eines neuen Menschen und ihre Schönheit: eine Zusammenballung von Schlamm, Fett, verkohlten Knochen.
Ihr Gestank hängt noch in der Luft.
Es dämmert. Im Zwielicht kommen einige Männer und Frauen. Sie bilden einen Kreis um den erloschenen Scheiterhaufen. Dann lassen sie sich auf Hände und Knie fallen und suchen den Boden nach letzten Resten der Verbrannten ab. Jeder Knochensplitter kommt in einen Tonkrug. Der Krug füllt sich. Ein Pfiff ertönt. Alle stehen auf und gehen schnell weg.
An den folgenden zwei Sonntagen predigt der Stadtpfarrer, Dr. Martin Plantsch, in der Stiftskirche St. Georg. Nur wenige Tübinger verstehen seine lateinischen Ausführungen. Er bekämpft die falschen Hexenvorstellungen beim leichtgläubigen und leichtfertigen Volk.
In den Gesprächen nach dem Kirchgang werden die, die verstanden haben, im kleinen Kreis nach dem Inhalt befragt. Sie begreifen, dass da jemand predigt, der die Hexenverfolgung ablehnt. Das könnte zu einem scharfen Konflikt mit der Kirche führen. Plantsch mahnt von der Kanzel: „Gottes Allmacht kann den Hexen Zauberkraft verleihen. Nichts geschieht ohne Gottes Willen: Der Hexenflug ist nicht möglich, weil die Hexe von sich aus fliegen kann, sondern weil Gott es zulässt. Was wir zu leiden haben, wird nicht verursacht durch Hexerei, sondern wird uns von Gottes, Hammer“ zugefügt. Ihr vertraut und glaubt einem Arzt, dessen schmerzhafter Behandlung ihr euch nicht widersetzt in der Hoffnung auf eure Genesung. Umso größer solltet ihr Gott vertrauen und an ihn glauben: Dann gelangt ihr zum ewigen Heil.“