Autor und Coach
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Der Buchdrucker Thomas Anshelm erlernt um 1500 sein Handwerk in Basel und Straßburg. Als Drucker und Verleger seiner Bücher beginnt er in Pforzheim seine Tätigkeit, wird mit Reuchlin bekannt und von ihm geschätzt und vergrößert den Wirkungskreis des Humanisten durch seine hochwertigen Werke in ungeahntem Ausmaß. Mehr…
Der getaufte Kölner Jude Johannes Pfefferkorn hatte 1509 ein Mandat Kaiser Maximilians I. zur Konfiskation der hebräischen nichtbiblischen Literatur erwirkt. Aufkommende Schwierigkeiten erforderten eine Gutachterkommission, in der Reuchlin auch Pfefferkorn persönlich angriff. Dieser antwortete mit dem Pamphlet ‚Handspiegel‘ (1511), Reuchlin darauf mit dem ‚Augenspiegel‘. Mehr…
Die Pest 1501: Lebenskrise!
1501 rauscht die Pest-Sense durchs Land. Dörfer öden aus, unablässig rattern die Leichenkarren in den Gassen der Stadt. Das Pestflämmchen brennt an den Häusern der Totengräber. Das Vieh siecht. Die Ärzte müssen die Seuche fressen lassen, bis sie sich in ihrer Gier überfrisst. Mehr…
Der Buchdrucker Thomas Anshelm erlernt um 1500 sein Handwerk in Basel und Straßburg. Als Drucker und Verleger seiner Bücher beginnt er in Pforzheim seine Tätigkeit, wird mit Reuchlin bekannt und von ihm geschätzt und vergrößert den Wirkungskreis des Humanisten durch seine hochwertigen Werke in ungeahntem Ausmaß.
Thomas Anshelm verbringt seine Jugend um 1470 in Baden, wo er Latein lernt, um in Basel studieren zu können. In Basel lebt er bei einem Drucker. Der Buchdruck mit all seinen Facetten fesselt ihn mehr als das Studium und er entschließt sich, nach Straßburg zu gehen, um bei dem berühmten Meister Grüninger in die Lehre zu gehen. Dort findet er sein persönliches Glück.
Aus familiären Gründen muss er Straßburg verlassen und nach Pforzheim ziehen. Nachdem er und seine Familie die Pest von 1501 überlebt haben, beginnt er mit neuen Ideen den Buchdruck weiterzuentwickeln. Reuchlin, der in Pforzheim geboren wurde, bemerkt dies. So erhält er neben den Schulbüchern für Lateinschüler und Mönche auch Aufträge für den Druck von Lehrbüchern in hebräischer und griechischer Sprache. Der Umzug nach Tübingen, der von seinen Auftraggebern, vor allem von Reuchlin, gefördert wurde, veränderte sein Leben völlig: Der Druck des ›Augenspiegels‹, den Reuchlin 1511 für die Frankfurter Herbstmesse bei ihm in Auftrag gibt, und seine Folgen bringen Anshelm in eine äußerst schwierige Lage. Einerseits ist der Fortbestand seiner Druckerei wegen seines Eintretens für die Freiheit des Buchdrucks in ständiger Gefahr, andererseits ist er die wichtigste Schaltstelle für die publizistische Verbreitung von Reuchlins Positionen zur Erhaltung des jüdischen Schrifttums.
Die geheimnisumwitterten ›Dunkelmännerbriefe‹, eine satirisch-ironische Briefsammlung anonymer Schreiber gegen die Dominikaner, die im Auftrag des Papstes die Inquisition gegen kirchenfeindliche Personen durchführen, lassen Anshelm nach dem Besuch eines Dominikaners in seiner Druckerei an der Freiheit des Buchdrucks in Tübingen und seiner politischen Unterstützung zweifeln. Nach nur fünf Jahren verlässt er Tübingen und zieht in die freie Reichsstadt Hagenau im Elsass. Von dort aus verfolgte er als weiterhin gläubiger Katholik die Reformation und die Veröffentlichungen Luthers kritisch. In die Auseinandersetzung mit der päpstlichen Kirche griff er mit seinen Drucken jedoch nicht mehr ein. 1522, im selben Jahr wie sein Autor Johannes Reuchlin, stirbt er in der Stadt der Drucker, wie Hagenau im Elsass auch genannt wird.
Der getaufte Kölner Jude Johannes Pfefferkorn hatte 1509 ein Mandat Kaiser Maximilians I. zur Konfiskation der hebräischen nichtbiblischen Literatur erwirkt. Aufkommende Schwierigkeiten erforderten eine Gutachterkommission, in der Reuchlin auch Pfefferkorn persönlich angriff. Dieser antwortete mit dem Pamphlet ‚Handspiegel‘ (1511), Reuchlin darauf mit dem ‚Augenspiegel‘.
Dessen Verbot wurde von Pfefferkorn betrieben, indem er ein Inquisitionsgericht bestellte, das aber sanft urteilte. Aber Pfefferkorn ließ nicht locker: Nachdem er mit den Kölner Dominikanern doch das Verbot des ‚Augenspiegels‘ durchgesetzt und noch einen ‚Brandspiegel‘ (1512) gegen die Juden und Reuchlin ausgesandt hatte, wandte sich dieser mit der ‚Defensio‘, einer zornsprühenden Verteidigung, an den Kaiser. Der versuchte, beiden Seiten den Mund zu stopfen, und konfiszierte die ‚Defensio‘. Es gelang ihm nicht und der Streit zog sich bis zur Verurteilung Reuchlins im Jahre 1521 hin.
Die Pest 1501: Lebenskrise!
1501 rauscht die Pest-Sense durchs Land. Dörfer öden aus, unablässig rattern die Leichenkarren in den Gassen der Stadt. Das Pestflämmchen brennt an den Häusern der Totengräber. Das Vieh siecht. Die Ärzte müssen die Seuche fressen lassen, bis sie sich in ihrer Gier überfrisst.
Dürre und Trockenheit plagen das Land, die Wiesen trauern vergilbt, das Gras bedeckt den trockenen, zerrissenen Boden nicht mehr, an den saftlosen Bäumen hängt das Laub müde und krank, zwergige Früchte gedeihen nicht und fallen vorzeitig ab, kläglich tröpfelt der Brunnen, die kraftlosen Bäche versuchen vergebens, die Mühlen anzutreiben. Kein Brot! Nirgends Hoffnung. So schickt der Tod seine Boten voraus.
Menschen beben unter Krämpfen, taumeln, betäubt vom Hunger. Frauen gebären lebensunfähige Kinder. Priester verweigern ihnen die Taufe. Man wähnt den Jüngsten Tag nahe, an dem der Herrgott die Welt zerstören wird.
Über Pforzheim dröhnen ununterbrochen die Glocken, die Gassen brausen von Gebeten und Liedern. Das geängstigte Volk schwingt die Seele voll Hoffnung zur Gottesmutter Maria, die allen anderen Nothelfern überlegen ist. Viele, auch die Anshelms, begeben sich auf einen Pilgerweg gen Süden zur Wallfahrtskirche Mariä Krönung in Lautenbach im Ortenaukreis. Dort hatte Peter Hemmel von Andlau Mosaikfenster aus Gläsern mit Farben aus zermahlenen Edelsteinen geschaffen, die aber nur wenig Licht durchlassen. Daher flackern über hundert große Kerzen im Inneren, wie starke Säulen geordnet, gespendet von frommen Bruderschaften und von badischen Städten. Die stattliche Kerze, die Anshelm stiftet, soll viele Jahre bei jedem Hochamt brenn
Im Zauber dieser unruhigen Lichter strahlt eine prächtige Marienskulptur, Maria mit ihrem Kind. Auf dem meisterhaft gestickten Altartuch zu Füßen der Skulptur legen die leidgeprüften Menschen, um Heilung bittend und hoffnungsvoll in das sanfte Antlitz Marias schauend, ihre Opfergaben ab.
Sie träumen davon, von Maria erhört zu werden, dass sie ihr finsteres Leben erhellt. Barfuß kommen sie, sie fasten unterwegs, leben fast nur von dem, was am Wegrand wächst. Manche gehen nackt, manche kommen kriechend oder hinkend, um sich zu martern auf dem Weg zum Heil, oder mit dornumflochtenen Häuptern, verstaubt, blass, sanftmütig, mit wankenden Knien niederbrechend vor dem Bild, um Hilfe stammelnd. Manche sind sogar Nächte einsam durch Wald und Wildnis gepilgert, ihr sündiges Herz mit Angst und Schrecken zu strafen.
Familie Anshelm steht vor Maria mit dem Kind. Neben ihm hebt eine Frau eine kleine, leere Wiege zu der Göttlichen empor. Stumm, die Augen fest auf Maria gerichtet, versinkt sie in Zwiesprache mit der Angebeteten. Tränen quellen aus ihren Augen, sie bahnen eine traurige Spur im farblosen Gesicht. Mit ausgestreckten Armen die Wiege haltend, fällt sie auf die Knie und beugt ihren Oberkörper bis die Stirn den Boden berührtes, lautes Schluchzen erbebt den ganzen Körper. Andere Wallfahrer steigen über sie hinweg, manche bleiben stehen und blicken auf das traurige Bündel.
Thomas zieht sich leise in den Hintergrund der Kirche zurück. Diese ungestillte, unbezähmbare Trauer erträgt er nicht.
Frauen stellen silberne Becher und Schalen auf den Altar, auch Schmuck, den sie tragen. Bauern schenken Flachs und lebende Hühner, Gänse und Tauben; ein Imker bringt den ersten Bruch samt Wachs und Honig, weil die Jungfrau ihm geholfen hat, im Wald die schwärmenden Bienen zu erschaffen.
Alle wenden sich an die demütige Mutter und Königin, die dem Blinden das gnädige Licht schenkt und dem Tauben die laute Welt, die dem Stummen die Zunge löst, dem Gefangenen die Ketten zerreißt, den im Sturm Verirrten in den stillen Hafen lenkt, den Verzweifelten hoffen, den verwirrten Zweifler wieder glauben lässt, den Gefallenen gütig zu sich aufhebt.
Betäubt von diesem leidenschaftlichen Fest des Vertrauens, Bittens, Forderns und Dankens begibt sich Thomas Anshelm wieder ins Freie.
Bald umspannen wunderbare Legenden die Skulptur: Ein Mann aus Pforzheim geht stockblind von zu Hause fort. Je näher er Lautenbach kommt, umso mehr bessern sich seine Augen. Während des Pilgerns bemerkt er schon einen grünen Schimmer, bei Seewald erkennt er schattenhaft die Umrisse der Bäume, bei Freudenstadt sieht er den Weg und kann ohne Führer weitergehen, bei Oppenau unterscheidet er Farben, und als er endlich vor dem Bild kniet, sieht er es in seiner tröstlichen Wärme und ist geheilt. Aus tiefster Nacht ist er durch allmählich sich lösende Nebel ins befreiende Licht gewandert.
Einer Frau ist seit einem Überfall aus Schrecken die Zunge gelähmt. Durch die Gewalt des Bildes gerührt, redet sie davor wieder ihre ersten Worte: »Maria, ave!«
Ein großer Wallfahrtszug nähert sich mit weißen, wächsernen Windlichtern der Kapelle. Die Pilger wollen sich sehnsüchtig in die Gunst Mariens begeben, der Jungfrau, der das Lob der Engel und das Lächeln Gottes gilt. In vielstimmigem Chor wird ein Lobeslied angestimmt.
Ein hageres Weib hält der Skulptur die verdorrte Hand hin. Eine Frau, an Gliedern gelähmt, wird auf einer Trage hereingeschafft, mit durstigen Augen sucht sie den Altar. Ein Mensch hustet Blut; ein anderer spuckt Schleim; einem dritten rinnt Eiter aus offenen Beinwunden; ein vierter hat die Stirn wie mit Rinde verschorft. Es kommen
Kranke mit pfundschweren Schwellungen, mit Fieber, mit Grieß und Stein, Gelbsucht, mit fahrigen Zuckungen und wild fuchtelnden Bewegungen.
Ein vom Teufel Besessener wird in Ketten vor Maria geführt. Er brüllt wie ein Stier, stampft mit dem Fuß, redet von Totschlag und von Leuten, die er bereits ermordet habe. Sein Körper verkrampft, Schaum schießt ihm aus dem verzerrten Mund; die Finger seiner Hände verkrallen sich ineinander und zerkratzen einander. Und plötzlich verfällt er mitten unter den neugierig Umstehenden in tiefen Schlaf. »Maria hat geholfen«, flüstern die Menschen, »der Teufel ist aus ihm gefahren«.
Von Atem und Ausdünstung und vom schweißigen Geruch der Pilger ist die Luft dumpf und dick, und mancher muss, der Ohnmacht nahe, herausgeführt werden.
Thomas wird aber auch von zwiespältigen Gefühlen geplagt. Auf der einen Seite sieht er Not und Elend, in den Lautenbacher Weinschenken aber säckeln die Bierbrauer und die Bäcker viel Geld, die Schuster haben gut zu tun, den Krämern schwillt der Beutel am Gurt. Er beobachtet, wie das Geld, mit dem das Volk hundert Tage
Ablass zu gewinnen hofft, den Opferstöcken entnommen und gesiebt wird, um rascher die gewichtigeren von den geringeren Münzen zu scheiden, wie schließlich die Opfergaben auf dem Marktplatz wieder an das Landvolk versteigert werden. Ein rätselhafter Sturm scheint die Menschen nach Lautenbach zu treiben, wo sie Gier und Verblendung zum Opfer fallen.
Der Anblick all des Elends hinterlässt auch bei Thomas Spuren: Die erdrückenden Sorgen um das Morgen graben Furchen in sein hageres, knochiges und düsteres Gesicht, in dem sich Hunger und Not, Schwäche und Schmerz verbergen. Sein selbstbewusster Gang wird unsicher, sein Rücken krümmt sich wie unter einer schweren Last. Die Stimme klingt rau und brüsk. Er fällt immer mehr der Hoffnungslosigkeit anheim, seine Vorstellungen von einem achtbaren Leben zerbrechen.
Wieder zurück in Pforzheim, irrt er durch die Straßen, klopft wie ein Bettler an Hintertüren, um Brot für die Familie und sich zu erbetteln. Eine Tür nach der anderen bleibt verschlossen. Es dauert nicht lange, bis er sich der Welt verschließt.
Sein Weg führt hinunter zum Fluss und er schaut auf den dahingleitenden Strom der Enz, der sich fließend selbst verschlingt und sich in immer neuen Wendungen und Windungen selbst wieder hervorbringt. Sein Gemüt verdüstert sich und der Sog des Flusses zieht ihn zu sich hin, auf den unergründlichen Grund lockender Dunkelheit.
Für einen Moment öffnet sich das Tor in die Tiefe, in den Abgrund, in ein gnädiges Ende. Doch eine plötzliche Scheu vor dem Wasser schüttelt ihn, bringt ihn wieder zu sich.
Wie waren die Worte des Predigers in der Kirche? »Der von Gott geschaffene Mensch ist in dieses Jammertal gestellt, damit er durch gerechten und tugendhaften Wandel selig werde und das ewige Leben erwerbe. Von diesem Ziel sucht ihn der Teufel durch tausend Verführungen abzuziehen, der Inhalt des menschlichen Lebens ist also der Kampf mit diesem Erbfeind.«
Erschaudernd wandern seine Gedanken zu den Worten in seinen Druckwerken, die Trost verheißen. Und nun, in der Umarmung der Finsternis, beschließt er, den Worten in seinen Büchern eine ästhetische Heimat zu geben. Er wird das Helle und Klare in seiner Geometrie fehlerfrei darstellen und flüchtige Gedanken gut lesbar werden lassen, seine Welt soll wieder fest und verlässlich werden.
Er wehrt sich dagegen, den dunklen Kräften in der Welt das Feld zu überlassen. Wenn die Welt ihrem unbekannten Ende entgegentreibt, dann kann ihm in dieser verzweifelten Lage nur der Glaube an sich und an die Liebe zu seiner Familie Halt geben. Seine Frau und die Kinder sind alles, was er hat.